Zwei Tage Zeit haben unsere beiden Gäste, um Toronto im Turbodurchgang anzuschauen und sich an Bord einzuleben. Dann verlassen wir den freundlichen TMCC und los geht’s in Richtung Niagara.
Für Alex ist es der erste Aufenthalt auf einem Segelboot, was den Wettergott veranlasst, uns den passenden „Anfängerwind“ zu schicken.
So erreichen wir nach nur vier Stunden angenehmen Segelns bereits die Einfahrt in den Niagara Fluss. Von hier aus wollen wir die Niagara Fälle besuchen. Leider gibt es auf kanadischer Seite weder einen passenden Ankerplatz noch eine Marina, in die die PIA hinein passen würde. So bleibt uns nichts anderes übrig, als uns vor die erste Schleuse des Welland Kanals zu legen, den wir passieren müssen, um in den Lake Erie zu gelangen.
Gesagt – getan. Ein Schild unmittelbar neben uns weist darauf hin, dass man hier nur anlegen darf, um auf das Öffnen der Schleuse zu warten und nicht über Nacht. Hm! Was nun?
Zum Glück hat ein uns wohlgesinnter Dockmaster noch Dienst. Der gestattet uns, die Nacht zu bleiben und gibt uns die wertvolle Information, dass wir erstens – um die Ecke – in St. Catherines ankern können, um von dort aus Niagara zu besichtigen und desweiteren erst nach dem Wochenende den Wellandkanal durchfahren sollten, da gerade Kanalfest sei und in Colborne, am anderen Ende des Kanals, nirgendwo ein Liegeplatz für die PIA zu bekommen sei.
Der Tipp ist prima! Unser Anker fällt am nächsten Morgen direkt vor dem kleinen Leuchtturm der Landzunge, unweit der Marina von St. Catherines, in der wir – gegen eine Gebühr von 17 CAD – unser Dinghi anbinden dürfen. Mit „Uber“ nach Niagara on the Lake ist’s nur ein Katzensprung.
Das historische Städtchen, wohlhabend, mit schön restaurierten Häusern, baumbestandenen Straßen, grünen Parks, könnte – was Blumenschmuck und Blütenpracht betrifft – wohl Dauersieger sein beim Wettbewerb: „Unser Dorf soll schöner werden“…
Eine historische Apotheke, ein sehr gut bestückter Weinladen mit den Gewächsen der Region (die vor allem berühmt ist wegen ihres Eisweins) und etliche, historisch altertümliche Boutiquen mit dem, was Touristen lieben.
Die „Niagara Falls“
Es ist Samstag! Das Taxi benötigt mehr als eine Stunde mit „Stop and Go“, um uns am Rande des Getümmels von Niagara abzusetzen.
Menschenmassen schieben sich durch Clifton Hill und Lundy’s Lane, zwei Straßen, die an einen kitschigen Vergnügungspark erinnern. Schäbige Hotels, ein Sumpf von Spielcasinos, Bars, Breweries und Touristenfallen reihen sich aneinander und wirken mit marktschreierischer Werbung gehörschädigend. Wir schlängeln uns durch bis zum Flussufer, können einen ersten Blick auf die amerikanischen Fälle, die „Bridal Veil Falls“ werfen und schauen zu, wie sich 700 rot bemäntelte Touristen, auf die „Hornblower“ (die kanadische Cruising Line), schieben, die bis dicht an die Wasserfälle heranfährt.
Auf amerikanischer Seite werden die „Nebelsüchtigen“ auf der „Maid of the Mist“ in blauen Regenschutz gehüllt.
Großartig!!! Die Niagara Horseshoe Falls
Ein unaufhaltsamer Strom brausenden Wassers (Eine Million Badewannenfüllungen pro Sekunde!!!) rauscht mit donnernder Gewalt über einen hufeisenförmigen Felsabbruch in die Tiefe. Die beim Aufschlag hoch aufsteigenden Gischtschwaden kann man schon von weitem sehen. Wie Spielzeuge werden die beiden Cruisingboote auf und ab bewegt, von Strudeln gedreht und teilweise vom Wassernebel verschlungen. Ein faszinierendes Schauspiel sogar mit Regenbogen!
Wir entscheiden uns für den „White Water Walk“ und entfliehen damit dem größten Touristenrummel. Wenige Kilometer flussabwärts gelangt man über Aufzug und Tunnel an den o.g. schattig-kühlen Holzpfad, der herrliche Blicke auf den tosenden Fluss mit seinen Stromschnellen bietet. Die Annäherung an dieses wilde Wasser – zwecks Fotos – fällt ziemlich respektvoll aus.
Für alles und jedes muss man ein Ticket lösen mit Besichtigungstermin und Zeitspanne. Wir melden uns für den letztmöglichen Besichtigungstermin zur „Journey behind the Falls“ an und warten um 20.20h – in gelbe Capes gehüllt – auf den Einlass in die Stollen, die an ihrem Ende einen Blick von der Seite auf die Fälle gewähren.
Es ist ein großartiges, beeindruckendes, nasses Vergnügen. Am Ende des Stollens schießt das Wasser direkt vor unserer Nase in die Tiefe und bedenkt allzu Neugierige mit ordentlichen Wassersalven.
Der untere Stollen mündet in eine Terrasse, die sich etwa auf halber Höhe des Wasserfalls befindet und dem Zuschauer das Hautnah-Erlebnis bietet. Donnerndes Getöse der herabstürzenden Wassermassen, Wind- und Wasserwirbel, die die gelben Umhänge aufplustern und das Gefühl geben, im Sturm unter der Schwalldusche zu stehen (dem Hardcore Segeln nicht unähnlich!!!) Dazu eine dramatische Beleuchtung, die das Ganze farblich in Szene setzt. Man mag es eventuell kitschig finden aber so mittendrin zu sein, das hat was!
Zum Abschluss des Tages gibt’s noch ein Feuerwerk. Danach ziehen die Menschenmassen ab.
Der letzte Tag ist dem Weingebiet Niagara gewidmet. Wir staunen nicht schlecht über ausgedehnte Apfel- und Pfirsich-Plantagen und riesige Weinfelder (keine Weinberge!!!) in einem Land, in dem zwischen Januar und März tiefster Winter herrscht und selbst die Seen bis in den April oft zugefroren sind. Aber die Niagara Schichtstufe macht’s offensichtlich möglich. Zusammen mit dem Lake Ontario hat diese besondere geologische Formation wohl ein Mikroklima geschaffen, das Wachstumsbedingungen hervorruft, die denen im Burgund gleichen.
Exportschlager ist der Eiswein, der hier in jedem Weingut (und davon gibt es viele) entlang des „Niagara Wine Trail“ verkostet werden kann. Wir testen auf unserer Fahrradtour – an einem heißen Sonntag – eine herrlich erfrischende Eiswein Bowle…(Rezept???) im deutschstämmigen Weingut „Reif“
und ersetzen den Afternoon Tea durch Snacks und Wein im Barrel House Grill, der Terrasse des Weingutes Peller.
Der Welland Kanal
verbindet den Lake Erie mit dem Lake Ontario und ermöglicht Schiffen, die Niagarafälle zu umfahren und über eine Strecke von 42 Km mit acht Schleusenkammern den Höhenunterschied (ca.100m) zwischen den beiden Seen zu überwinden.
Am Montagmorgen, dem 5. August fahren wir – von Port Weller aus – in die erste Schleusenkammer.
Unsere „Agentin“, die uns von der ersten bis zur letzten Schleuse begleiten wird, stellt sich vor.
Sie wird die Leinen an der Schleusenwand herunterlassen, mit Hilfe derer wir uns an selbiger halten können. Kurt, Alex und ich sind die „Leinenhändler“ während Peter am Steuer sitzt.
Sehr unangenehm wird’s in der Dreifachschleuse 4/5/6, in die das Wasser Walzen-bildend von der Seite einströmt und die PIA so stark an die Wand drückt, dass die dicken Kugelfender auf Bratpfannenstärke zusammengedrückt werden. Die Motoyacht vor uns treibt quer bis unmittelbar vors Schleusentor. Dramatisch. Auch wir bekommen einen harten Knuff ans Heck.
Manche Schleusen haben eine 2. parallel liegende Schleusenkammer, in die sich Ozeanriesen in Millimeterarbeit hineinschieben, um abwärts geschleust zu werden.
Wir fragen uns, ob sie von solchen Magneten in Position gehalten werden…
Bei jedem Auftauchen aus der Tiefe der Schleusenkammer schauen wir auf eine enthusiastisch geschwenkte deutsche Flagge. Wir haben einen Fan. Leider verschwindet er nach der vorletzten Schleusung….
Erst am Abend erreichen wir Colborne am Eingang des Erie Sees und sind heilfroh zu sehen, dass nur noch die Reste des Canalfestes beseitigt werden, die Anleger aber wieder frei sind. Wir können die PIA anbinden.
Die Wetterprognosen für den nächsten Tag sind nicht gerade prickelnd.
Wir haben starken Wind aus WSW, der unser Vorhaben, Turkey Point auf kanadischer Seite (d.h. an der Nordküste) des Sees zu erreichen, zu einer harten Kreuz mit 30° am Wind werden lässt. Da weicht das angenehme Gefühl, auf einem Katamaran zu segeln abrupt dem, das ein ungeübter Reiter auf dem Rücken eines bockenden Rodeo-Pferdes hat. Manch ein Gesicht wird da blass und blässer… Nach vier Stunden ändern wir den Kurs, um Dunkirk, das am (amerikanischen) Südufer liegt, zu erreichen.
Bei immer noch viel Wind und einem sich zunehmend verdüsternden Himmel lassen wir gegen 17.00h den Anker im großen, flachen Hafenbecken von Dunkirk fallen.
Wenige Minuten später zieht die Gewitterfront mit bis zu 40kn Wind über uns hinweg. Donnergrollen, starker Regen, aufgepeitschtes Wasser verursachen ziemlich viel Lärm, die Sicht ist eingeschränkt…
Der Anker hält nicht. Peter versucht, mit den Maschinen gegen zu halten. Dann zwei Schläge, die sich anhören, als hätten wir Felsberührung!!
Zum Glück nicht! Nacheinander sind die beiden Hahnepot-Leinen mit lautem Knall gerissen. Ein weiterer Knall und die Stb.-Lazy Jacks mitsamt Lazy Bag und Metallhalterung schlagen aufs Deck. Sie haben dem starken Hin- und Herschwingen des Baumes nicht stand gehalten…Wir müssen hier weg. Kurt und ich holen den Anker hoch, während Peter die PIA steuert.
Mitten im Chaos taucht die Hafenbehörde auf und fragt – gegen den Wind brüllend – und über Funk, ob sie helfen könne. Peter fragt nach, ob wir – ohne einklariert zu haben – am Public Pier festmachen können. Ja, wir dürfen, schauen den abziehenden Wolken hinterher
und liegen eine Stunde später – als alles so aussieht, als habe es nie ein solches Unwetter gegeben an der blitzeneuen Spundwand von Dunkirk.
Peter kann telefonisch einklarieren und alles ist paletti. Schon am frühen Morgen beginnen die Vervollständigungsarbeiten an der Pier. Elektrokabel werden in die Laternen der Pier eingeführt, Lampen eingeschraubt, lange Bügel für das Aufnehmen von Blumenampeln angebracht…Ein herrlich sonniger, ruhiger Tag!
Man weist uns darauf hin, dass es abends am Harbourwalk ein Fest mit Life Musik geben soll. Da wollen wir dabei sein. Auf der großen Wiese sitzen nicht allzu viele Zuhörer und die Buden, am Rande des Geschehens haben nichts zu bieten, was nach Gaumenschmaus aussähe. So entschließe ich mich, auf die PIA zurück zu gehen und ein Abendessen vorzubereiten. Dazu soll es nicht mehr kommen.
Ich will die schöne Stimmung einfangen, die unmittelbar nach dem Sonnenuntergang da ist, halte mein Handy in der rechten Hand, in der linken eine Dose Bier und werde von hinten angesprochen auf unser schönes Schiff. Meine Antwort fällt kurz aus, da ich ja anderes vorhabe…ich drehe mich um, stolpere über irgendetwas, stürze zu Boden und sehe gerade noch im Augenwinkel, wie etwas Schwarzes im Bogen ins Wasser springt. Die beiden Personen sind sofort zur Stelle, fragen, ob ich mich verletzt habe, ob sie Hilfe holen sollen und stellen fest, dass meine Nase blutet und dass es mein Handy war, das beim Aufschlag aus der Hülle ins Wasser katapultiert wurde. Trauer!!!
…nicht um die total verkratzte Brille, die lädierte Nase, die schmerzende Kniescheibe, die aufgeschürften Handgelenke…Nein, es ist das Handy mit den nicht gespeicherten Fotos der letzten sechs Wochen, das nun unwiederbringlich auf dem Grunde des Erie Sees liegt.
Das Abendessen sieht heute spartanisch aus. Wir gehen ins Bett und… können nicht schlafen, da der Wind massiv zunimmt. Die PIA wird – durch die Ruckdämpfer in den Festmacher Leinen – halbwegs abgefedert aber mit viel Wucht und unter lautem Knarzen und Quietschen abwechselnd in die Vor- oder Achterleine gedrückt. Die Fender – eingeklemmt zwischen Bord- und Spundwand – ächzen schrecklich laut und wir hoffen, dass sie nicht nach oben herausrutschen oder gar platzen, um den scharfen Kanten der Spundwand nicht ausgesetzt zu sein.
An Schlaf ist nicht zu denken. Die Geräusche werden unerträglich, Wind und Welle nehmen erbarmungslos zu. Wir wecken Kurt, der sofort zur Stelle ist. Leinen lösen! Mit voller Kraft rückwärts schafft Peter es, die PIA von der Pier weg zu manövrieren.
Draußen steht üble Welle. Sie klatscht an die Seite und mit der Gewalt eines Vorschlaghammers unter das Brückendeck. Das Geschirr im Schrank scheint sich auf den nächsten Polterabend zu freuen. Eine Ölflasche kippt im Schrank um, fällt auf den Schnepper, die Tür fliegt auf, die Flasche heraus, kopfüber in einen darunter stehenden Becher und 1000 Minischerben spritzen durch den Salon. Wunderbar! Die arme Alex! Erstaunlich, dass sie dieses Tohuwabohu – im Vorschiff liegend – aushält. Kurt holt sie hoch und sie ist froh, die restliche Nacht (nach einer weiteren Salve von Stugerontropfen gegen Seekrankheit) im Salon auf dem Sofa verbringen zu können.
Endlich, um 5.18 geht die Sonne auf. Ganz allmählich wird’s ein wenig ruhiger. Ich darf schlafen gehen. Peter und Kurt managen die Segelei, während das schwache Geschlecht ruht.
Um 10.00h fällt der Anker in der idyllischen Misery Bay im „Presque Isle State Park“ vor der Stadt Erie. Frühstück! Danach nehmen die Männer eine Mütze Schlaf, bevor wir am Nachmittag noch einmal Ankerauf gehen, um uns für die nächsten drei Tage in den nordwestlichen Bereich der „Presque Isle Bay“ zu legen.
Eine Fahrradtour durch das Naturschutzgebiet Presque Isle…
Den letzten Tag verbringen wir – radelnd – auf dieser hübschen Naturschutzinsel. Dann holt Peter das Mietauto ab, mit dem er die beiden am nächsten Morgen zum Flughafen nach Buffalo bringen wird und ich winke ihnen – nach dem Dinghi Transfer (morgens um 5.00h!!) ein letztes Mal hinterher.
Unglaublich, wie schnell die vierzehn Tage verflogen sind!
Schön war’s!
Liebe Dorothee,
an Dir ist eine exzellente Schriftstellerin verloren gegangen,
aber es ist ja noch nicht zu spät. Anfangen kann man in jedem
Alter.
Du schilderst so plastisch und blumig euren Kampf gegen die
Unbilden des Wetters, das offensichtlich durch den Klimawandel
immer häufiger und immer dramatischere Züge annimmt, dass
man selbst vor dem Computer beim Lesen deiner Zeilen
seekrank wird. In solchen Situationen leide und zittere ich mit
euch. Da ihr aber schon jahrelang diese Unbilden einigermaßen
heil überstanden habt, gehe ich davon aus, dass dies auch
zukünftig der Fall sein wird. Dies wünsche ich Euch von ganzem
Herzen. Liebe Grüße auch an Peter. Dietmar
Grusse von Captain Bernhard, Put-in-Bay!
Dietmar is correct: Dorothee’s writing is fabulous in its clarity and precision. It makes the reader a real participant in the adventure. The photos from Preaque Isle are particularly excellent and should be submitted to the Sierra Club calendar! All the best blessings to you both.